Datencheck legt Grundstein für verbesserte Maschinen-Zustandsdiagnose
Digital in NRW unterstützt HEMPEL Unternehmensgruppe bei der Optimierung ihrer Dienstleistungen
Vom Webinar in die Praxis: Das aktuelle Digitalisierungsprojekt der HEMPEL Unternehmensgruppe nahm seinen Anfang in dem Online-Seminar „KI und Assistenzsysteme in der Produktionstechnik“ von Digital in NRW. Nach dem interaktiven Wissensaustausch kam die Geschäftsführung des Willicher Unternehmens auf die Experten des Kompetenzzentrums zu, um gemeinsam die Digitalisierung einer entscheidenden Dienstleistung des Mittelständlers voranzutreiben: Im Mai 2020 startete Digital in NRW, dem Vorläufer des Mittelstand-Digital Zentrum Rheinland, und der Unternehmensbereich „Technische Diagnostik“ von HEMPEL dann im Rahmen einer Umsetzungsbegleitung mit den Arbeiten an einem Datencheck zur Teilautomatisierung der Aus- und Bewertung von Messergebnissen.
Vorausschauende Instandhaltung
Die HEMPEL Unternehmensgruppe bietet Betrieben einen umfassenden industriellen Instandhaltungsservice von Reparatur- und Wartungsarbeiten über Montageservices vor Ort bis hin zur Predictive Maintenance. Diese beschreibt die Zustandsüberwachung der Maschinen und soll so Schäden vorbeugen und Ausfälle bzw. Produktionsstillstand vermeiden. Für diese Form der Instandhaltung spielt eine verlässliche Zustandsdiagnostik – gekoppelt mit Anwender- und Prozesswissen – eine entscheidende Rolle. „Unsere praxiserprobte Experten nehmen sich der Messergebnisse an und lassen die Einflüsse des Produktionsumfelds in Ihre Bewertung einfließen.“, erläutert Jan Kösters, Geschäftsführer bei HEMPEL.
Technische Diagnostik: offline und online
„HEMPEL überprüft die Komponenten der Kunden offline sowie online“, erklärt Tobias Kaufmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am WZL der RWTH Aachen, der das Unternehmen als Digital-in-NRW-Experte bei der Umsetzungsbegleitung unterstützte. In regelmäßigen Abständen fahren die Mitarbeitenden zum Kunden – ausgestattet mit Messequipment und vor allem mit umfangreichem Expertenwissen. „Die über mehrere Quartalsmessungen gesammelten Daten werden mit Hilfe entsprechender Systeme von Hand ausgewertet und bewertet, um den aktuellen Zustand der jeweiligen Maschinen einzuschätzen“, so Kaufmann.
Dieser Zeitaufwand kann mit einer Online-Variante minimiert werden. „Es gibt ein festes System, das bereits bei einem Teil der Kunden installiert ist und die Daten in einem Dashboard bei HEMPEL für die Auswertung zusammenfasst“, so Kaufmann. Am Ende bewertet ein Experte jede Messung. „Diese gesamte Bewertung beruht auf viel Erfahrungswissen.“ Mindestens fünf Jahre dauert die Einarbeitung neuer Mitarbeiter in diesem Bereich, um die Funktionsweise der unterschiedlichen Komponenten zu kennen, Fehler und Verschleißerscheinungen verlässlich zu bestimmen und die vielseitig vorkommenden Szenarien richtig einzuschätzen.“
Potenzialanalyse per Telko
Vorliegende Offline-Daten wurden von Digital in NRW genauer unter die Lupe genommen und untersucht. In einem nächsten Schritt folgten Überlegungen zur Verbesserung der Online-Services durch eine automatisierte Analyse jeglicher Datensätze – ob on- oder offline. Basis der Umsetzungsbegleitung war eine Potenzialanalyse, die in Zeiten von Corona per Telefonkonferenz vorbereitet wurde und in kleinem Rahmen mit Mund-Nasen-Schutz und Mindestabstand stattfand: Probleme wurden diskutiert, mögliche Herausforderungen eruiert und langfristige Ziele formuliert. Eines davon lautet: „Weg von der Offline- hin zur Onlineüberwachung“, bringt es Tobias Kaufmann auf den Punkt. „In der Realisierung arbeiten wir gemeinsam an einer technischen Unterstützung, die unsere Experten entlastet und nur noch die kniffligen Fälle zur Bewertung präsentiert“, so Jan Kösters.
Datencheck für ein neues Geschäftsmodell
Auf diesem Weg wurde auch ein neues Geschäftsmodell entwickelt: eine automatisierte Reporterstellung als Kundenservice. „Das befähigt das Unternehmen, sein Produktportfolio attraktiver zu gestalten, Kunden zu halten und gleichzeitig neue zu gewinnen“, ist Tobias Kaufmann überzeugt. Nicht verzichten möchte und kann das Unternehmen dabei auf den langjährigen Erfahrungsschatz der Mitarbeitenden: „Ob digital oder nicht – die Datensätze müssen richtig gelesen, verstanden und interpretiert werden“, so Kaufmann.
Meilensteine gesetzt
Drei Meilensteine wurden im Rahmen der Potenzialanalyse festgelegt, zentraler Bestandteil der Umsetzungsbegleitung war erst einmal ein Datencheck. Die Aufgabe: die Abläufe und Analyseprozesse optimieren und die Weichen für eine datengetriebene, automatisierte Auswertung und Reporterstellung stellen. „In diesem ersten Schritt prüften wir einerseits, ob die bisher erhobenen Daten von ihrer Anzahl und Aussagekraft ausreichen, um eine datengetriebene Bewertung zu realisieren“, erläutert der Fachmann. „Andererseits untersuchten wir, ob wir mittels Methoden des maschinellen Lernens die Kriterien und Gewichte derart implementieren können, dass die datengetriebene Bewertung in zunächst 85 Prozent der Fälle mit der händischen Bewertung der Experten übereinstimmt“.
Mehr Daten für eine genauere Auswertung
Zudem sollten vorliegende händisch erfasste Daten nachkonstruiert werden. „Eine Herausforderung“, wie Tobias Kaufmann weiß. Schließlich musste später auch der entwickelte Algorithmus so arbeiten, dass unterschiedliche Szenarien berücksichtigt sind. Die Komplexität der vielen Abhängigkeiten in den Daten und den Ergebnissen musste abgebildet werden. Kaufmann: „Hier musste auch die Software, also das entsprechende System, erst einmal lernen.“ Machine-Learning ist das Stichwort. Dazu wird der Algorithmus kontinuierlich mit weiteren, neuen Daten und Faktoren „gefüttert“. Denn: Je mehr Daten vorliegen und analysiert werden, desto genauer ist die Auswertung.
Die implementierten Machine-Learning-Modelle waren künstliche neuronale Netze und Support-Vector-Machines. Die Modelle wurden zum einen auf eine Einzelklassenunterscheidung und zum anderen auf eine kritisch-unkritisch Unterscheidung hinsichtlich des Verschleißverhaltens trainiert. Zur Dimensionsreduktion der Input-Features der Anlagenkomponenten wurde eine PCA und eine UMAP-Transformation eingesetzt. Abschließend wurde eine grafische Benutzeroberfläche programmiert, die es ermöglicht, die Machine-Learning-Modelle in der Praxis bei Hempel zu verwenden. Der erste Einsatz im Monatsbericht bei HEMPEL zeigte eine erhebliche Zeitersparnis bei ca. 80 % der zu bewertenden Komponenten. „Dieser Wert ist schon sehr gut. Um sich aber auf die automatisierte Bewertung vollständig verlassen zu können, müssen wir hier künftig noch ein bisschen an der Datenqualität und dem Training arbeiten“, erklärt Jan Kösters im Gespräch. Wichtig sei es insbesondere, falsch positiv bewertete Verschleißerscheinungen noch sicherer auszuschließen, um Anlagenausfälle und Gefährdungen zu vermeiden. Diesem Thema haben sich die Digitalisierungsexperten von Digital in NRW in Aachen bereits angenommen und halten entsprechende Methoden bereit, die dies ermöglichen sollen.
Zusammenarbeit ausbauen
Mit dem abgeschlossenen Datencheck und der Umsetzung einer ersten automatisierten Verschleißanalyse und -bewertung, planten Digital in NRW und HEMPEL dann, die Zusammenarbeit fortzusetzen und mit der Konkretisierung der automatischen Reporterstellung einen weiteren Meilenstein zu erreichen. „In diesem Zusammenhang war natürlich auch die Mitarbeiterqualifikation ein wichtiges Thema“, betont Tobias Kaufmann. Schulungen und Fortbildungen zu statistischen Methoden und zum Umgang mit dem neuen System sind dann sinnvoll. Die Mitarbeitenden bei diesem Prozess mitzunehmen und für die neuen Maßnahmen zu begeistern, ist entscheidend. Das hat die HEMPEL Unternehmensgruppe bereits erkannt. Tobias Kaufmann: „Alle sind sehr motiviert an das Projekt herangegangen und auf die Mehrwerte gespannt, die unsere Zusammenarbeit zukünftig mit sich bringt.“